Objekt des Monats Oktober

Bierkrug


Pünktlich zum Oktoberfest erwachen nostalgische Gefühle: Tradition wird plötzlich groß geschrieben, junge Madln und fesche Burschen putzen sich in Tracht heraus und sitzen gesellig beieinander bei Bier, Brez´n und Radi (= bayerische Rettichspezialität).

Auch der Schöpfer des um 1870/1880 entstandenen Bierkruges lebte in einer Phase des nostalgischen Rückblickens, die unter der Bezeichnung Historismus in die Geschichts- und Kunstbücher eingegangen ist. Industrielle Fertigungsmethoden sowie deren folgenschweren Konsequenzen in technischer und sozialer Hinsicht brachen mit den vorangegangenen Generationen, wie wohl nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Inmitten dieses beinahe chaotischen Widerspruches herausragender, wegweisender technologischer Leistungen einerseits, Krankheit, Armut und politischer Unterdrückung andererseits, wuchs das Bedürfnis nach Rückhalt: man suchte Geborgenheit in der Schönheit kunsthandwerklicher Schöpfungen früherer Epochen, deren Formenrepertoire man wiederholte, es allerdings den technischen Möglichkeiten anpasste – und dem zeitgenössischen Geschmack, der sich nun aus breiteren Schichten rekrutierte.

In unserem von dem Kunstgewerbler Hermann Kellner entworfenen und von der berühmten Münchner Kupfertreiberwerkstatt Heinrich Seitz ausgeführten Bierkrug ist dieses nostalgische Sehnen deutlich abzulesen: der glockenförmige Sockel mit dem gebogenen Zungendekor erinnert an die glanzvolle Zeit des Nürnberger Gold- und Silberschmiedeschaffens der Renaissance, der Deckelknauf ahmt ein gedrechseltes Zierelement nach, das man sonst an hölzernen Prunkmöbeln findet, die aufwändig punzierte Wandung ist mit exotisch anmutendem Ranken -und Blütendekor versehen.

Alles in allem ein gut gearbeitetes, typisches Stück dieser Zeit, das sicher nicht nur in altdeutschen Vitrinen verstaubte, sondern als handlicher, persönlicher Gebrauchsgegenstand in den Biergarten oder auf die Wiesn zum Befüllen mit Gerstensaft mitgeführt wurde.   

Bierkrug
KMF 0396
München, um 1880 

Im Boden eingeschlagene Marke
„Kupferschmied mit Hammer“
sowie „HS München“
und „T 109“

Höhe: 28 cm